Stephanie Marchal (Hg.), Andreas Degner (Hg.), Andreas Zeising (Hg.); u.a
Konturen einer kunstkritischen Praxis
Die regelmäßig aufflammenden Kontroversen um den Stand der gegenwärtigen Kunstkritik oder ihr vermeintliches „Verschwinden“ bilden einen idealen Ausgangs-punkt, den heute in die Krise geratenen Kritikbegriff einer grundlegenden Revision zu unterziehen. Die von den Universitäten Bochum (Jun.-Prof. Dr. Stephanie Marchal), Lüneburg (Prof. Dr. Beate Söntgen) und Siegen (PD Dr. Andreas Zeising) gemeinsam konzipierte Buchreihe widmet sich dem breiten Spektrum populärer und essayistischer Kunstliteratur in Geschichte und Gegenwart. Nachdem die Kunstkritik in der Historiografie und Selbstreflexion des Faches Kunstgeschichte lange Zeit nur am Rande Beachtung fand, rückt die populäre und populärwissenschaftliche Kunstpublizistik in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus der Forschung.PRAKTIKEN DER KRITIK (Bd. 1)
Mit Beiträgen von Eduard Beaucamp, Kerstin Bitar, Magdalena Bushart, Andreas Degner, Elisabeth Furtwängler, Peter Ulrich Hein, Jost Hermand, Joseph Imorde, Ines Kleesattel, Astrid Mania, Stephanie Marchal, Melanie Sachs, Gottfried Schnödl, Antonius Weixler, Harald Tausch, Wolfgang Ullrich und Andreas Zeising.
2020, 544 Seiten, 40 Abbildungen, 14,5 x 21 cm, Broschur
ISBN: 978-3-88960-182-7
Preis: 32,00 €
Die Kunstschriftstellerei entwickelte sich um 1900 unter genuin modernen Bedingungen: Die Printmedien und der Kunstmarkt boomten, der Kunstbetrieb differenzierte sich aus. Die Kunstkritik positionierte und legitimierte sich infolge neu und generierte mit der Durchsetzung des Impressionismus neue Formen des Schreibens. Als Scharnierzeit greift die Kunstschriftstellerei gleichermaßen auf romantische Gattungstraditionen zurück wie auf heutige kunstkritische Fragen voraus. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert bezeichnete der Terminus »Kunstschriftstellerei« eine spezifisch populäre Praxis des Schreibens über Kunst, die sich jenseits der wissenschaftlichen Kunstgeschichte verortete. Als kunsthistorische Populärliteratur in vielfach weltanschaulicher Perspektive ergänzte sie mit ihrem kulturedukativen Anspruch die journalistische Kunstkritik in den Periodika und suchte Kunst jenseits wissenschaftlicher Methodenstrenge an ein zumeist bürgerliches Lesepublikum zu vermitteln. Auf Wirksamkeit bedacht, kennzeichneten sie spezifische Formen der Vermittlung, eine experimentelle, oft bildhafte Sprachlichkeit sowie die Verschränkung gesellschaftlich-sozialer und künstlerischer Fragen. Kunstschriftsteller wie Hermann Bahr, Carl Einstein, Roger Fry, Clement Greenberg, Wilhelm Hausenstein, Julius Meier-Graefe, Richard Muther, Karl Scheffler u. a. erschrieben das Verständnis der jeweils zeitgenössischen Kunst und trugen maßgeblich zur Konturierung eines modernen Werkbegriffs bei. Sie veröffentlichten ihre heute zum Teil kanonischen Texte durchaus mit dem Anspruch, nahe am Werk zu argumentieren und Kulturedukation als ein Mittel zur gesamtgesellschaftlichen Orientierung in einer Gegenwart begreiflich zu machen, in der Religion und Tradition ihre Verbindlichkeit zu verlieren begannen. Der Band versucht, die Vermittlungsleistung der Kritik, ihre Literarizität und ihre produktiven Ansätze zur individuellen und kollektiven Selbstdeutung in der kulturellen Moderne zu würdigen, und dabei auch den soziologischen Aspekten einer Praxis des Populären Rechnung zu tragen, die in gegenwärtigen Bildungsdiskussionen um Teilhabe und Wissenschaftspopularisierung nach wie vor virulent ist. Die versammelten Aufsätze zielen ferner darauf ab, eine grundlegende, ideen-, wissens- und gattungsgeschichtliche sowie institutionelle Verortung und zeitliche Konturierung der Kunstschriftstellerei im Spannungsfeld von Kunstkritik, akademischer Kunstgeschichte, Kunsttheorie und populärer Kunstvermittlung vorzunehmen – die bis heute ungeschriebene Geschichte der Kunstkritik wird hier in einem grundlegenden Kapitel greifbar.
Prof. Dr. Stephanie Marchal, Studium der Kunstgeschichte und Romanistik in Heidelberg, Siena und Neapel. Seit August 2020 Professorin für Kunstgeschichte mit einem Schwerpunkt in der Kunstkritik und den Bildkünsten der Moderne an der Ruhr-Universität Bochum.
M.A. Andreas Degner, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kunstgeschichtlichen Institut der Ruhr-Universität Bochum.
PD Dr. Andreas Zeising, studierte Kunstgeschichte in Hamburg und Bochum, wo er 2001 promovierte. Anschließend absolvierte er ein Volontariat am Museum Kunstpalast in Düsseldorf. Von 2003 bis 2007 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunst- und Designgeschichte und der Designsammlung Schriefers der Bergischen Universität Wuppertal. Seit 2010 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Kunstgeschichte der Universität Siegen, wo er sich 2016 habilitierte. Lehrstuhlvertretungen und Lehraufträge an der Fachhochschule Dortmund, der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, der Universität Siegen, der Hochschule für Künste Bremen und der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.